Mit diesem Beitrag starte ich meinen neuen Blog zur Persönlichkeitspsychologie. Ich habe schon länger mit dem Gedanken geliebäugelt, regelmäßig zu diesem Thema zu schreiben. Das hat nicht nur mit meinem ausgeprägten Interesse an diesem Fachgebiet zu tun. Denn gerade Autor*innen werden an unterschiedlichen Stellen des Schreibprozesses immer wieder mit persönlichkeitspsychologischen Themen konfrontiert und fundierte Informationen, die über den berühmt-berüchtigten Myers-Briggs-Typenindikator hinausgehen, findet man dazu leider viel zu selten.
Zum Schließen dieser bedauerlichen Lücke möchte ich mit diesem Blog einen kleinen Baustein beitragen. Dabei habe möchte ich vor allem folgende Aspekte der Persönlichkeitspsychologie in den Vordergrund stellen:
1. Jenseits der Pathologie
Es gibt im Netz unglaublich viele Darstellungen und Berichte über die pathologischen Bereiche der Persönlichkeit, die sogenannten Persönlichkeitsstörungen. Seit Trump und Co. ist dabei der Narzissmus in den Vordergrund gerückt; ein Dauerbrenner, gerade bei Autor*innen, die im Spannungsbereich aktiv sind, ist aber auch die dissoziale Persönlichkeitsstörung. Sehr viele Selbstberichte von Betroffenen findet man dagegen zum Thema Borderline.
Das sind sicherlich wichtige Themen und einzelne Figuren, die Züge von Persönlichkeitsstörungen tragen, nehmen oft eine markante Stellung in Büchern oder anderen Medien ein, denken wir nur an Hannibal Lecter, Tony Stark oder Gilderoy Lockhart, um einmal drei Beispiele zu nennen. Allerdings wird der Großteil der Figuren, die wir schreiben, sich bezüglich ihrer Persönlichkeit nicht im pathologischen Bereich bewegen. Ein Roman, der ausschließlich aus extremen Persönlichkeiten besteht, wäre wahrscheinlich schwer lesbar.
Die Persönlichkeitspsychologie als Disziplin befasst sich nun gerade mit dem nicht-pathologischen Bereich von Persönlichkeit. In mehr als 100 Jahren ist dabei einen riesige Menge von Erkenntnissen zusammengekommen, von denen sich viele Aspekte nutzen lassen, um Figuren facettenreicher und realistischer zu gestalten. Diese Verbindung zwischen psychologischer Forschung und konkreter Anwendung beim Schreiben soll ein Schwerpunkt dieses Blogs werden.
2. Vom (Proto)-Typ zur mehrdimensionalen Figur
Viele frühe Ansätze der Persönlichkeitspsychologie wie etwa Jungs Konzept von Extraversion und Introversion oder Kretschmers Morphologie waren Typologien. Dabei werden wenigen Persönlichkeitsklassen wenige aber dafür sehr charakteristische Merkmale zugeordnet, wobei die Klassen („Typen“) streng gegeneinander abgegrenzt werden. Der Vorteil dieses Konzepts besteht darin, dass Menschen, die bei denen eine Merkmalsausprägung sehr stark vorhanden („Idealtypen“) ist, sich als Figuren gut einprägen (z.B. ein sehr extravertierter Mensch als „Rampensau“).
Die heutzutage dominierenden Ansätze sind dagegen dimensional, d.h. Merkmalsausprägungen werden als stetig aufgefasst. Zudem werden stark vereinfachende Typologien der Komplexität der menschlichen Persönlichkeit nicht gerecht, weshalb die aktuellen Modelle wie etwa die berühmten „Big 5“ mehrdimensional sind. Sie eignen sich daher m.E. auch besser dafür, komplexe Figuren mit Ecken und Kanten zu entwerfen.
Auf dieses Spannungsfeld zwischen Typen und Dimensionen werde ich immer wieder zurückkommen
3. Psychologie ist viel mehr als Freud
Ich habe in den letzten 25 Jahren einen Haufen Schreibratgeber gelesen. In vielen davon wurde mir geraten, mir das sogenannte „topische Modell“ von Sigmund Freud (genauer gesagt, die 2. Topik) zum Vorbild zu nehmen, um Konflikte in Figuren anzulegen. Das Spannungsfeld zwischen Ich, Es und Über-Ich scheint ein Dauerbrenner zu sein, genauso wie Maslows Bedürfnispyramide.
Nun, gegen beide Modelle ist erst einmal nichts einzuwenden, sie haben große Werke inspiriert, denken wir nur einmal an Arthur Schnitzlers Dramen und Novellen. Leider fallen dabei aber viele andere, große Persönlichkeitstheoretiker und ihre Ansätze unter den Tisch. Und das finde ich sehr schade, denn die Werke von Allport, Cattell oder Kuhl, um nur ein paar zu nennen, finde ich gerade für eine literarische Umsetzung wesentlich spannender als die alten Kamellen von Sigmund F. aus W. (auch wenn ich die für meinen im Herbst erscheinenden Thriller selbst weidlich geplündert habe).
Ich möchte euch einladen, einige dieser psychologischen Forscher und ihre Theorien zur Persönlichkeit zu entdecken und dabei vielleicht auch noch einmal neue Blicke auf scheinbar Altbekanntes zu werfen.
4. Testtheorie ist geil
Das Methodenarsenal der Persönlichkeitspsychologie umfasst eine Unmenge von Tests. Und da ich ich Testtheorie-Nerd bin, dem man mit einer objektiven, reliablen und validen, nach dem mixed-Rasch-Modell gebauten Skala den Tag versüßen kann, werde ich versuchen, ab und zu auch einen Einblick in psychologische Tests, die zugrundeliegenden Theorien und praktische Aspekte zu geben, wobei der Schwerpunkt hier auf Persönlichkeitstests und Intelligenztests liegen wird.
Ich habe mich zuletzt vor 15 Jahren zum Ende meines Studiums hin mit diesen Thematiken auf universitärem Niveau beschäftigt. Seitdem ist in der Persönlichkeitspsychologie so einiges passiert und deshalb werde ich auch viel Lesearbeit vor mir haben, um wieder auf den aktuellen Stand der Forschung zu kommen. Es wäre sicher einfacher, über das zu schreiben, was mein tägliches Brot als Psychologe im klinischen Bereich ist: psychische Erkrankungen, Psychiatrie, Psychotherapie, Schmerztherapie. Aber dazu gibt es schon eine Unmenge von Blogs und – was viel wichtiger ist – ich habe so gar keine Lust darauf :-). Auf die Entdeckungsreise in die Persönlichkeitspsychologie dagegen freue ich mich und ich hoffe, dass ihr mich dabei begleitet.
Wenn ihr Fragen, Anregungen oder Themenvorschläge habt, freue ich mich über Kommentare zu diesem Artikel oder Mails. Ich werde versuchen, mich in alles einzuarbeiten, was irgendwie mit Persönlichkeitspsychologie zu tun hat.